Sam Bodary, der Kopf hinter Hello Emerson, ist 23 Jahre alt und hat gerade ein Literaturstudium an der Ohio State University abgeschlossen. Seine Abschlussarbeit zeichnet Verbindungen zwischen dem Schaffen von David Foster Wallace und J. D. Salinger nach. Genauer gesagt zwischen Wallaces Kurzgeschichte “Good Old Neon”, die er als Antwort auf oder Dialog mit der Glass Familien-Saga deutet, die den Großteil von Salingers Kurzgeschichten durchzieht. (An einer Stelle wird auch angedeutet, Buddy Glass könnte der fiktive Autor von „Der Fänger im Roggen“ sein, jedenfalls ein alter ego Salingers). Tatsächlicher Autor, impliziter Autor, figuraler Erzähler, Metaebenen, Korrespondenzen…

Ein bisschen viel Literaturwissenschaft vielleicht, aber die beiden Autoren sind tatsächlich hilfreich, um die Musik Bodarys und seines alter egos Hello Emerson zu verorten: detailreiche Narrative, gleichermaßen jugendlich wie humanistisch und weise.
“Ohio”, die erste Single von „Above the Floorboorads“, ist auch so eine Korrespondenz unter befreundeten Songwritern, die letztlich aber in eine New Orleans-artige Big Band hineinstolpert. Und neben so vielen Worten zum Text muss man auch ganz kurz noch sein virtuoses, manchmal dem Bluegrass nahestehendes Gitarrenspiel erwähnen, die wahnsinnige Dynamik in vielen seiner Lieder und eine Stimme, die irgendwo zwischen dem jungen Conor Oberst und M. Ward pendelt. Wenn man weitere musikalische Verandtschaften herstellen möchte – auf Debütalben ist das schließlich erlaubt – dann muss man Sufjan Stevens oder Okkervil River noch erwähnen, The Mountain Goats und Andrew Bird.

Bodary wurde in Pontiac, Michigan, geboren, ist in einem Vorort von Dayton, Ohio, aufgewachsen und nach zwei kurzen, freudlosen Semestern eines Music Business-Studiengangs in Nashville, Tennessee in seine Heimat zurückgekehrt, um an der Ohio State University in Columbus englische Literatur zu studieren. Dort begann er schließlich, intensiver an eigenen Songs zu arbeiten und weil dies mit der Geburt seiner Nichte Emerson korrespondierte, die wiederum nach seinem zweiten Vornamen benannt wurde, nannte er das Ganze Hello Emerson. Hallo, Emerson! Willkommen auf dieser seltsamen Welt! Er mag eben Korrespondenzen.

Die Band hat mittlerweile zwei weitere feste Mitglieder, den Pianisten Jack Doran und den Percussionisten Daniel Seibert. Doch die Produzentin Victoria Butash hat das Album sorgfältig um Bodary, sein filigranes Gitarrenspiel und seine Stimme herum gebaut. Trotz der enormen Anzahl von 24 Musiker/innen wirkt es niemals überladen. Da klingen ein Streichertrio, eine üppige Bläsersektion, Pedal Steel Guitar, Piano, Synthesizer, Wurlitzer, Drums und Kontrabass …und das alles hört sich wunderbar an, funktioniert aber allein mit Gitarre und Stimme ganz genau so gut. Denn Bodarys Songs sind etwas Besonderes. Sie finden ihre Form über ihre Erzählungen und fließen ineinander wie ein Netzwerk aus Flüssen, über Intros verwoben oder direkt miteinander verknüpft. Angelegt ist eigentlich nur eine Trennung in A- und B-Seite für das Vinyl.

“Hello”, der Opener, ist wie der Zugang über einen Hausflur (und in einem ebensolchen aufgenommen), Streicher und Schritte auf alten Dielen, und jeder weitere Song ist wie ein Zimmer dieses Hauses, in dem man als Hörer von Raum zu Raum gehen kann.

Schlüsseltrack des Albums ist zweifellos das knapp acht-minütige “Lake” – so dynamisch, dass er eigentlich nur live wirklich erfahrbar wird (und trotzdem auch auf Platte großartig ist). Hello Emerson betrachten hier die ewige Dichotomie der amerikanischen Popkultur. Die Extrovertierten, die Footballspieler, Partys und Sex auf der einen, Outsider und Underdogs, die Schüchternen, sich ewig hinterfragenden und in Zweifel verstrickten auf der anderen Seite. “How can we know we know all that we know cause with each passing day I grow and I grow more and more lost I’m told ‘til I’m told ‘til I’m told I am repeating myself again.” Und die stille Hoffnung, auch hinter zugezogenen Jalousien, über ein Buch gebeugt, plötzlich von einem anderen Menschen gefunden zu werden, gesehen, erkannt, geliebt… So mündet “Lake” schließlich mit einem Augenzwinkern in einen wunderbar free-jazzigen Epilog.

Ein anderer zentraler Song heißt “Uncle”. Es ist die Geschichte eines Vaters, der gemeinsam mit seinem jungen Sohn seinen totkranken Onkel besuchen fährt. Während das Kind sich auf einem Familienurlaub wähnt, weiß er, dass er den Mann, mit dem ihn viel verbindet, zum letzten Mal sehen wird. Der Song ist eigentlich nur eine nächtliche Autofahrt und entfaltet seine Geschichte schrittweise in kleinen Nebensätzen: “But he’s not sleeping on sugary bones, he’s jacked up on the candy from great uncle’s hospice home.”

Die Songs von Sam Bodary sind “distinclively mid-western” – während sich Ost- und Westküste nach ganz großen Statements sehnen, gibt der Mittlere Westen sich stets höflich, dezent und bescheiden. So will auch Bodary seine eigentliche Größe verbergen. Er selbst beschriebt das so:

“All of these stories take place in the Midwest. They’re about small disappointments and little victories that happen while people are focused on bigger things. Most of my songs are about small moments that we forget about by the end of the day. We only remember them fondly when someone else treats them with reverence.”

Da möchte man sich schon wieder mit literarischen Bezügen helfen und den eingangs genannten Autoren noch Sherwood Andersons Klassiker “Winesburg, Ohio” hinzufügen. Braucht man aber nicht, denn diese Lieder sprechen für sich selbst.

PS: Der LP liegt ein Downloadcode zur Live-EP „Below the Ceiling“ bei. Die Aufnahmen stammen von einem ausverkauften Konzert im Rumba Café, Columbus, OH, vom 25. August 2017 und sind fast noch besser als die Albumversionen: Hello Emerson in 14-köpfiger Besetzung (full string trio, horn quartet, upright bass, pedal steel, synthesizers, acoustic guitar, keyboard, percussion, harmony vocals).